Allerneuster Erziehungsplan

Am 29. Oktober 1810 erschien in den Berliner Abendblätter ein Aufsatz von Heinrich von Kleist. Ich bin auf diesen Text gestossen, weil seine Vision einer „Schule der Tugend durch Laster, zu errichten“, mich angefeuert hat. Und hier habe ich Euch den Abschnitt aufgeschrieben, in dem er dies Schule vorstellt. Übrigens haben wir auf dem Freudenberg eine eigene Schule gegrünhdet, mit derzeit 5 Schülerinnen und Schülerjn. Schulzeit 2 Jahre. Thema: Die Kunst der Wahrnehmung und wie lerne ich, selbst Holz aufs Feuer zu legen? Kein Abschluss, sondern ein Anschluss. Doch davon später mehr.

(…)

In Erwägung nun1

1) daß alle Sittenschulen bisher nur auf den Nachahmungstrieb gegründet waren, und statt das gute Prinzip, auf eigentümliche Weise im Herzen zu entwickeln, nur durch Aufstellung sogenannter guter Beispiele, zu wirken suchten;2

2) daß diese Schulen, wie die Erfahrung lehrt, nichts eben, für den Fortschritt der Menschheit Bedeutendes und Erkleckliches, hervorgebracht haben3,das Gute aber

3) das sie bewirkt haben, allein von dem Umstand herzurühren scheint, daß sie schlecht waren, und hin und wieder, gegen die Verabredung, einige schlechten Beispiele mitunterliefen;

in Erwägung, sagen wir, aller dieser Umstände, sind wir gesonnen, eine sogenannte Lasterschule, oder vielmehr eine gegensätzische Schule, eine Schule der Tugend durch Laster, zu errichten.4

Demnach werden für alle, einander entgegenstehende Laster, Lehrer angestellt werden, die in bestimmten Stunden des Tages, nach der Reihe, auf planmäßige Art, darin Unterricht erteilen: in der Religionsspötterei sowohl als in der Bigotterie, im Trotz sowohl als in der Wegwerfung und Kriecherei, und im Geiz und in der Furchtsamkeit sowohl, als in der Tollkühnheit und in der Verschwendung. Diese Lehrer werden nicht bloß durch Ermahnungen, sondern durch Beispiel, durch lebendige Handlung, durch unmittelbaren praktischen, geselligen Umgang und Verkehr zu wirken suchen.

[468] Für Eigennutz, Plattheit, Geringschätzung alles Großen und Erhabenen und manche anderen Untugenden, die man in Gesellschaften und auf der Straße lernen kann, wird es nicht nötig sein, Lehrer anzustellen.

In der Unreinlichkeit und Unordnung, in der Zank-und Streitsucht und Verleumdung, wird meine Frau Unterricht erteilen.

Liederlichkeit, Spiel, Trunk, Faulheit und Völlerei, behalte ich mir bevor.

Der Preis ist der sehr mäßige von 300 Rtl.

Rechtenfleck im Holsteinischen, den 15. Oktober 1810