schlechte Unendlichkeit
Weiter so. Wie bisher. Natürlich mit Variationen, Erweiterungen, Veränderungen und Entwicklungen. Weiter so? Vor dieser Frage stehen Einzelne, Gruppen, Initiativen, Unternehmen und Organisationen. Man trifft sich zu Zukunftswerkstätten, zu Perspektivmeetings, Visionskonferenzen…
Wie denken wir über dieses „Weiter“? Wie denken wir den Begriff „Zukünftig“? Etwas, was noch nicht ist. Etwas was wird. Etwas was noch werden kann (Wir sagen ja auch: Das kann noch werden oder: Das wird nie etwas.). Auf diese Spur hat mich Johannes Stüttgen gebracht. Bei seinem letzen Auftritt im Schloß Freudenberg (16.9.) tritt er an die Tafel und zeichnet eine Linie … „unendlich verlängert“. Dieses Bild von Unendlichkeit, eine Gerade, nannte Johannes Stüttgen ein Bild der schlechten Unendlichkeit. Diese zwei Worte haben mich elektrisiert. Bei meiner Suche bin ich auf diese Stelle gestossen: „Etwas wird ein Anderes, aber das andere ist selbst ein Etwas, also wird es gleichfalls ein Anderes, und so fort bis ins Unendliche. Diese Unendlichkeit ist die schlechte oder negative Unendlichkeit, indem sie nichts ist, als die Negation des Endlichen, welches aber ebenso wieder entsteht, somit ebenso sehr nicht aufgehoben ist – oder diese Unendlichkeit drückt nur das Sollen des Aufhebens des Endlichen aus. Der Progress ins unendliche bleibt bei dem Aussprechen des Widerspruchs stehen, den das Endliche enthält, daß es sowohl Etwas ist als sein Anderes, und ist das perennierende Fortsetzen des Wechsels dieser einander herbeiführenden Bestimmungen“ (Hegel, Enzyklopädie § 93, § 94) perennierend (lat. perennis „ausdauernd“)
Johannes Stüttgen krümmt seine „unendliche Linie“ zurück. Wie die Krümmung eines Spazierstocks. „Das Ganze kehrt sich um, kommt wieder auf Dich zurück, aber nicht mehr auf derselben Linie.“ Dieses Krümmen, das ist der Punkt, die Stelle, auf die es ankommt. Stüttgen nennt diesen Punkt Nullpunkt. Durch den wir unser Denken gleichsam wie durch ein Nadelöhr durchziehen müssen. Das leere Blatt. Oder die Garderobe, an der ein Lehrer jeden Morgen sein Vorwissen, sein Vorhaben, seine Vorbereitungen aufhängen soll, um dann „neu“ zu sehen und zu hören.
Der vernünftigste Mensch, den er kenne, stellte ein Schriftsteller, dessen Name mir leider nicht mehr einfällt, einmal fest, sei sein Schneider: «Er nimmt immer wieder neu Maß von mir».