Lasst Kindern Luft zum Atmen

Herr Juul, während alle über die Eurokrise rden, propagieren Sie die Empathie als „die häfteste Währung der Welt“. Ist das auch als Empfehlung für den Umgang mit Griechenland gemeint?  –   Die globalen Krisen haben ihre Ursachen in einer Krise des  Miteinander, das in unserer Gesellschaft  immer mehr an Stellen-wert verliert. Es gibt zwar noch die moralische Forderung: Sei empathisch, habe Mitgefühl, versetze dich in die Lage des anderen. Aber wie wenig diese Fähigkeit tatsächlich ausgeprägt ist, sieht man am Umgang mit Griechenland. Was hat diese Erkenntnis mit den Kindern zu tun? – Vertrauen in sich selbst zu haben, ist eine Grundvoraussetzung daf+ür, sich anderen zu öffnen und seelisch gesund zu bleiben. Normalerweise entwickeln Kinder diese Fähigkeit in den ersten fünf bis sieben Jahren: Sie horchen in sich hinein – und richten erst dann wieder die Aufmerksmakeit nach aussen. Aber dieses Wechselspiel ist massiv gestört. Stattdessen gibt es immer mehr Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten und Lernproblemen. Wir erleben sie als gestresst, selbstgefällig und nervös. Aber weder die Schulen noch die Therapeuten können das bgeheben. Warum nicht? – Kinder erhalten heute zu viele Anregungen von außen. Sie werden schon ab dem Kindergarten mental gesteurt. Das führt dazu, daß sie von diesen äußeren Stimulierungen regelrecht abhängig werden. Wenn sie nach hause kommen, verlangen sie eine Fortsetzung des Programms – und viele Eltern machen da mit: Fernsehen, Computerspiele, Reitkurse, Ballet, Fußballverein und so weiter und so weiter. Das nimmt kein Ende. Was soll daran falsch sein, wenn Eltern ihre Kinder fördern? – Sie haben gute Absichten, erweisen ihren Kindern aber einen schlechten Dienst. Die brauchen kein Freizeitprogramm, sondern müssen selber aktiv werden. Man hilft den Kindern nicht dabei, einen inneren Halt zu entwickeln, wenn man ihnen permanent etwas Neues anbietet. Dann sagen sie aber: „Mir ist langweilig!“ – Das ist das Beste, was ihnen passieren kann. Die Langeweile hat der liebe Gott erfunden! Denn nur wenn Kinder sich langweilen und dabei entspannen, finden sie zu sich selbst.  (…) Was sagen Sie den schuldgeplagten deutschen Eltern? Ihr müsst euren Kindern kein schmerz- und risikofreies Leben bieten. Ihr dürft Fehler machen. Interessiert euch für eure Kinder – aber beschäftigt euch nicht pausenlos mit ihnen. Lasst ihnen Luft zum Atmen, sonst werden sie nie selbständig. 

Interview mit dem dänischen Erziehungsexperten Jasper Juul; Frankfurter Rundschau

 

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