Einfalt und einfältig. Was ist das?

Marie Luise Knott hat in ihrem Kommentar zu einem Gedicht von Matthias Claudius folgenden Gedanken aufgeschrieben: „Einfalt ist ein ironisches Mittel, die Suche nach endgültiger Wahrheit zu unterlaufen und festgefahrene Weltanschauungen zu lockern. Verschiedene Deutungen bleiben in der Schwebe, auch widersprüchliche Gefühle kommen zu ihrem Recht.“ Ich habe beim Lesen das Wort „Einfalt“ wie neu entdeckt, wie zum ersten Mal gelesen und dann beim Suchen bin ich auf den folgenden Schatz gestossen. 

Wilhelm Löhe, Andenken einer Jüngerin der Einfalt, Stutthgart, 1856 

Alle Schönheit wird zu Schanden, wenn wir ohne Einfalt sind. Wenn wir in der Einfalt stehen, ist es in der Seele licht: Aber wenn wir doppelt sehen, So vergeht uns das Gesicht.

Einfalt ist ein Kind der Gnade, das sich keiner selber schafft, die auf ihrem schmalen Pfade, nicht nach dem und jenem gafft.

Einfalt denkt nur an das eine, in dem alles andre steht; Einfalt hängt sich ganz alleine an den ewigen Magnet. (…)

Was ist Einfalt? Einfalt ist nicht gleich die Zahl eins oder der Einheit. Die Zahl Eins oder die Einheit redet von dem Wesen der Dinge und steht der Mehrheit gegenüber, kann sich mit derselben nicht vertragen: es kann kein geschaffenes Ding zugleich mehr sein, und ebenso wenig können mehrere geschaffene Dinge Eines sein. Die Einfalt hingegen bezeichnet nicht die Zahl des Wesens, bezieht sich überhaupt nicht auf das Wesen der Dinge, sondern sie ist eine heilige Form und Tugend des Lebens und Wesens, ohne welche nichts wahrhaft gut sein kann. Die Einfalt ist keine Feindin der Mehrzahl und Mannigfaltigkeit, sondern im Gegenteil, ohne eine Mannigfaltigkeit und Mehrheit von Dingen läßt sich die Einfalt gar nicht denken, und je größer die Mannigfaltigkeit ist, unter welcher sie waltet, desto größer und schöner erscheint und erzeigt sich selbst, die Königin Einfalt. Was ist Einfalt? Ist sie nicht jene mächtige, erhabene Tugend, welche alle Dinge, alle Taten, alle Werke, Reden und Gedanken zu einem Ziele leitet? Ist sie nicht die heilige Erkenntnis, da man alle Dinge von einem Mittelpunkte aus versteht, alles Einzelne auf Eins bezieht?

  • Iris sagt:

    So habe ich es noch nicht gesehen – sehr interessant!
    Einen Eintrag von 1907 in Friedrich Kirchners Wörterbuch habe ich gefunden:

    „Einfalt bezeichnet eine gewisse Begrenztheit des Verstandes und Geradheit des Urteils und, da diese den Kindern eigen ist, die echte Kindlichkeit. Sie kann auch als die Abwesenheit von Ziererei, falscher Rücksichtnahme, Verstellung und Unredlichkeit verstanden werden (…) Wer einfältigen Verstandes ist, kann nicht nach weitaussehenden und verwickelten Absichten handeln; wer einfältigen Herzens ist, will es nicht. Der Einfältige ist das Gegenteil vom Gewandten, Pfiffigen und Weltklugen. Sein Leben ist naturgemäß, ohne Luxus und Affektiertheit; seine Gesinnungen und Handlungen stehen, frei von allen Nebenabsichten, in Harmonie.“

    In diesem Sinne: Ein Hoch auf die Einfalt“

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